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Die Liebende - Rainer Maria Rilke (1875–1926) |
Im Gedicht ,,Die Liebende" spricht Rainer Maria Rilke (1875–1926) von den Empfindungen einer liebenden Frau: Sie ist in einer Art Schwebezustand am Beginn einer Liebe. Die Grenzen zwischen ihr und ihrer Umgebung scheinen zu verschwimmen. Ihr Inneres scheint sich zu weiten. Es kommt auch eine Stimmung oder ein Gefühl der Unruhe zum Ausdruck, was am Ende doch zur Ruhe wird und fast verschwindet – was auch durch die Form der Verse sehr schön gezeigt wird.
Hintergrund
Das Gedicht entstand zwischen den Jahren 1891 und 1926, daher kann es der Epoche der Moderne und der Strömung Impressionismus zugeordnet werden und ist eine der schönsten Liebesgedichten Rilkes.
Autor
Rilke wurde am 4. Dezember 1875 in Prag geboren. Er war neben Hugo von Hofmannsthal einer der bedeutendsten deutschprachigen Lyrikern der modernen Impressionismus und Symbolismus. Seine Werke zeigen aber teilweise auch Motive des Jugendstils. Er galt am Anfang des Jahrhunderts als der Dichter schlechthin und wurde zum Teil wie ein Heiliger verehrt. Die impressionistischen Dichter, so auch Rilke, bestrebten in ihrer Denkweise und daher auch in ihren Werken das Naturalismus zu überwinden. Im Mittelpunkt steht bei ihm das Individuum mit seinem inneren Erleben: Naturempfindung, Liebe, Sehnsucht, emotionaler Schmerz und die Auseinandersetzung mit dem Tod. Im Rilkes Leben spielten mehrere Frauen eine wichtige Rolle. Diese Lieben beeinflussten auf bedeutender Weise auch seine Werke.
Inhalt
Das ist mein Fenster. Eben
bin ich so sanft erwacht.
Ich dachte, ich würde schweben.
Bis wohin reicht mein Leben,
und wo beginnt die Nacht?
Ich könnte meinen, alles
wäre noch ich ringsum;
durchsichtig wie eines Kristalles
Tiefe, verdunkelt, stumm.
Ich könnte auch noch die Sterne
fassen in mir; so groß
scheint mir mein Herz; so gerne
ließ es ihn wieder los,
den ich vielleicht zu lieben,
vielleicht zu halten begann.
Fremd, wie nie beschrieben
sieht mich mein Schicksal an.
Was bin ich unter diese
Unendlichkeit gelegt,
duftend wie eine Wiese,
hin und her bewegt,
rufend zugleich und bange,
dass einer den Ruf vernimmt,
und zum Untergange
in einem Andern bestimmt.
Aus: Der Neuen Gedichte anderer Teil